Eine kleine Mahnwache gegen eine riesige Autofabrik, ordnungsgemäß angemeldet und mit dem bewirtschaftenden Landwirt abgesprochen, doch in Wolfsburg ist schon das zu viel. Was sich gegen den Wunsch des Weltkonzerns VW richtet, immer mehr Autos zu bauen, ist nicht erwünscht. Stadt und Polizei zeigen sich damit als willfährige Vollstrecker der Konzerninteressen – und das nicht zum ersten Mal.
Vorgeschichte
Seit einigen Wochen protestieren Verkehrswende-Aktive für eine Transformation des Volkswagen-Konzerns. Statt weiter Autos zu bauen, die Rohstoffe und Flächen verbrauchen, Klimawandel und Luftverschmutzung bedeuten, Menschen und Tiere töten, solle das Werk in Wolfsburg auf den Bau von Straßenbahnen umgerüstet werden, um den bei einer Verkehrswende benötigten Bedarf an den seit jeher elektrisch fahrenden Trams zu decken.
Einschub: Die vier Ziele der Verkehrswende-Aktiven von Wolfsburg (Quelle: amsel44.de)
- KEINE A39: In Zeiten der Klimakatastrophe und der Frage nach Klimagerechtigkeit können wir uns keine weiteren Autobahnen leisten.
- KEIN TRINITY-WERK: E-Autos sind eine Scheinlösung, weil nur der Antrieb gewechselt wird. Deswegen: Keine neue Autofabrik – weder bei Warmenau noch anderswo! Transformation statt Neubauten!
- KONVERSION VON VW: VW steht heute noch für VolksWagen. Bald schon kann es aber VerkehrsWende heißen und statt Autos die dringend benötigten Züge und Straßenbahnen bauen.
- VERKEHRSWENDE LOKAL: Wolfsburg wird dabei Zentrum der VerkehrsWende und setzt einen umfassenden Verkehrswendeplan um, der von unten anhand der 5 Säulen gestaltet wird.
Als völlig anachronistisch bezeichneten sie den Plan, die Produktionskapazitäten für Autos sogar noch zu erhöhen. Daher meldeten sie eine Mahnwache an einem Feldweg an, der durch die zukünftige Baustelle führt. Die Fläche ist im Besitz der Stadt Wolfsburg und derzeit noch an einen Landwirt verpachtet, aber nicht mehr genutzt. Zur Vorbereitung des Baus der riesigen Fabrik (Trinity) wurden für archäologische Untersuchungen bereits erhebliche Teile des Oberbodens abgetragen.
Die Stadt Wolfsburg hat die Mahnwache am angemeldeten Standort verboten mit der absurden Begründung, dass wegen der späteren Baustelle ein Umzug nötig werden könnte und dem Versammlungsanmelder diese Mehrarbeit erspart werden solle. Gegen diese vorgeschobene Begründung reichte der Anmelder Klage und Eilantrag beim Verwaltungsgericht ein, die zurzeit verhandelt wird.
Gleichzeitig meldete eine andere Person eine Spontanversammlung gegen diese Willkür der Stadt Wolfsburg an – begrenzt auf den Zeitraum, in dem die landwirtschaftlichen Pachtverträge noch laufen und deshalb ein Baubeginn durch VW noch nicht möglich ist. Ein Umzug wäre deshalb nicht zu erwarten.
Dramatischer Donnerstagmorgen
Stadtverwaltung und Polizei rückten am heutigen Morgen an und räumten die kleine Spontanversammlung nach kurzer Zeit gewaltsam weg. Seitdem wird das Gelände, welches – wie geschildert – immer noch formal von einem Landwirt gepachtet wird, von der Polizei bewacht. Kritik an VW wird mit Staatsgewalt verdrängt. Die Verkehrswende-Aktiven harren zurzeit auf einer Ersatzfläche aus, die allerdings nur an einer Autostraße liegt, also von Fußgänger*innen kaum erreichbar ist. Sie warten dort auf die Gerichtsentscheidung.
Nicht das erste Mal …
Der Umgang von Polizei und Stadtverwaltung in Wolfsburg mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hat bereits mehrfach zu Auseinandersetzungen geführt. So beharrten beide Ämter bis zu ersten juristischen Auseinandersetzungen auf der Position, dass Straßen generell nur Autos gewidmet seien und deshalb als Versammlungsort nicht in Frage kämen. Im Jahr 2020 wurde deshalb eine Versammlung von der Straße geräumt und auf einem Fuß- und Radweg gekesselt – die juristische Überprüfung dieses Vorgangs läuft noch. Einem Journalisten wurde damals rechtswidrig die Kamera beschlagnahmt, was das Bundesverfassungsgericht deutlich rügte. Das städtische Ordnungsamt und das lokale Amtsgericht sahen den Verstößen gegen Versammlungs- und Pressefreiheit tatenlos zu oder deckten sie mit zustimmenden Beschlüssen. Erst höhere Gerichte kassierten die Entscheidungen. Für die Verkehrswende-Aktiven sind das alles deutliche Hinweise auf Seilschaften zwischen dem VW-Konzern und den lokalen Strukturen im Raum Wolfsburg. „Wir werden mit Interesse beobachten, wie das Verwaltungsgericht entscheidet. Der Verstoß gegen Artikel 8 des Grundgesetzes ist sehr offensichtlich. Es ist spannend, was hier in der Region mehr zählt: Das Grundgesetz oder VW“, heißt es aus dem Kreis von Unterstützer*innen, die gemeinsam die Klage erarbeitet haben.