Kommentar in der BZ von Hanna Schmitz
„Ohne Protest, eine Prise Radikalität und zivilen Ungehorsam, wo kämen wir da hin?“
Manche Dinge werden einfach weniger abstrus, je öfter man sie hört. Als ich zum Beispiel das erste Mal hörte, dass die Verkehrswende-Aktivisten, die gegen die neue VW-Fabrik in Wolfsburg protestieren, fordern, dass Volkswagen jetzt Straßenbahnen bauen soll, da dachte ich: Nicht deren Ernst – und lachte mich scheckig. Vor wenigen Tagen kam mir wieder eine Pressemitteilung der Aktivisten aus dem Amsel-Projekt in Wolfsburg in die Hände. Dieses Mal las ich genauer: Sie möchten nicht nur, dass Volkswagen seine Produktion auf Straßenbahnen umrüstet – statt auf E-Autos –, sondern auch, dass VW mehr Elektro-Busse baut und sich ein Konzept überlegt, wie Güter mit Lastenrädern transportiert werden können. Zugegeben, Letzteres liegt immer noch außerhalb meiner Vorstellungskraft. Aber Straßenbahnen? Wieso eigentlich nicht?
Diese Art, einfach etwas völlig Undenkbares, Abstruses bis Gagaeskes in den Raum zu werfen, „verfängt“, möchte ich sagen. Zumindest bei mir. Warum also nicht Straßenbahnen?
Was für Eier!
Jedenfalls trauen sich diese Aktivisten doch etwas. Sie sprechen Blödsinn aus, riskieren, verspottet und verlacht zu werden – und warum? Um der sogenannten Mehrheitsgesellschaft vor Augen zu führen, dass der mehrheitlich eingeschlagene Weg vielleicht doch kein ganz so guter ist, vielleicht einer winzigen oder auch riesigen Korrektur bedürfte.
Aktivisten kleben sich an Straßen fest und bewerfen mir nichts dir nichts von Glas geschützte Gemälde von van Gogh mit Suppe. Was für Eier! Und in Lützerath stellen sie sich – von Jung bis Alt – an mondmäßigen Kratern Schaufelbagger-Ungetümen und Polizeiketten entgegen – während unsereins das müde von der Couch aus kommentiert. Was für ein Einsatz!
Und den braucht es – ohne Protest, eine Prise Radikalität und zivilen Ungehorsam, wo kämen wir da hin? Nichts gegen Umweltschutzorganisationen wie zum Beispiel Greenpeace, aber deren Protest nimmt sich im Vergleich doch fast lammfromm oder zumindest doch weitaus inszenierter aus. Eben wie ein Protest von Profi-Protestlern.
Greenpeace-Protest – Nix mit Straßenbahnen
Erinnern Sie sich beispielsweise noch an die Berichte, in denen beschrieben wurde, wie Greenpeace-Aktivisten in Emden über Parkplatz-Zäune kletterten und dann aus dort geparkten, nigelnagelneuen VW-Autos die Zündschlüssel klauten? Die brachten sie dann bis an die Zugspitze, um bildgewaltig und medienwirksam auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und den damaligen VW-Chef Herbert Diess um ein Gespräch zu bitten. Ja mei.
Diess reagierte ziemlich gelassen – zugegeben, er war auch nicht gerade konfliktscheu – und sagte, ja, reden könne man schon mal. Zur Zugspitze schaffe er es an diesem Tag aber leider nicht (so in etwa waren seine Worte bei Twitter). Eine Klage des Konzerns hatten die Greenpeace-Leute danach trotzdem am Hals, aber das ist ein von Nicht-Regierungs-Organisationen durchaus einkalkuliertes Risiko bei solch einer Aktion.
Die Forderung von Greenpeace damals wie heute: Volkswagen soll bitte nicht erst irgendwann oder 2035 aus dem Bau von CO2-emittierenden Verbrenner-Autos aussteigen, sondern 2030. Klingt das in Ihren Ohren radikal? Sicher nicht einfach zu bewerkstelligen, vielleicht auch unmöglich, aber radikal, neu, grenzensprengend? Nein.
Greenpeace hat nun Klimaklagen gegen VW angestrengt, eine davon wird am Landgericht Braunschweig verhandelt. Die Forderung, dass VW in sieben Jahren keine Benziner und Diesel mehr verkaufen soll, wollen sie damit nun juristisch erzwingen. Und die Anwältin Roda Verheyen sagte in Braunschweig selbst: „Wir verlangen nicht die Abkehr vom Geschäftsmodell, sondern nur eine moderate Änderung.“ Nix mit Straßenbahnen.
Wer sind die Klima-Terroristen?
Die Amsel-Aktivisten aus Wolfsburg solidarisieren sich zwar grundsätzlich mit Greenpeace, kritisieren aber die in ihren Augen viel zu lahme Forderung. Sie werfen der Umweltschutzorganisation sogar vor, sich mit einer Greenwashing-Kampagne dem VW-Konzern geradezu in den Dienst zu stellen, weil sie noch ambitioniertere Elektro-Ziele verfolge als VW selbst. Eine Antriebs- sei aber noch längst keine Verkehrswende. Einer der Greenpeace-Geschäftsführer, darauf angesprochen, erklärte, er verstehe diese Kritik. Unsere Gesellschaft müsse wegkommen vom Individualverkehr, gerade im urbanen Raum. Die Klage sei trotzdem richtig und wichtig.
Und das ist sie auch. Denn bis VW anfängt, Straßenbahnen zu bauen, ist entweder die Welt schon untergegangen, oder aber es fließt noch viel (hoffentlich) Wasser die Aller hinunter. Eine gemeinsame Studie der University of Technology in Sydney, des CAM-Zentrums von Autoexperte Stefan Bratzel und von Greenpeace kommt zu dem Schluss, dass die vier größten Autobauer der Welt – darunter auch Volkswagen – Absatzpläne für Verbrennerfahrzeuge verfolgen, die unvereinbar sind mit dem Pariser Abkommen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad zu beschränken. Unvereinbar! Demnach liegt für die gesamte Autoindustrie die geplante Überproduktion bei rund 400 Millionen Verbrenner-Autos.
An dieser Stelle möchte ich noch einen Schwenk drehen, weil mein Arbeitsauftrag eigentlich lautete, über das Unwort des Jahres – „Klima-Terroristen“ – zu schreiben. Denn für manche sind Umwelt-Aktivisten offenbar gleichzusetzen mit Terroristen. Laut Definition versteht man unter Terror die systematische, oft willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken, um andere gefügig zu machen. Umwelt- und Klimaschutzbewegten das vorzuwerfen, ist allerdings genauso abgründig, wie die Annahme, wir lebten in einer „Corona-Diktatur“.
VW strich verbrauchsarme Automodelle aus dem Sortiment
Der Begriff ist in der Welt, auch er verfängt ob seiner Zugespitztheit und trotz seiner Falschheit. Deswegen lassen Sie uns doch den Spieß umdrehen und das Abstruse, Undenkbare, Gagaeske sagen: Was, wenn die besagten „Klima-Terroristen“ nicht die Aktivisten sondern Konzerne wie VW sind? Konzerne, die trotz eigener und fremder wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel immer mehr und immer größere Autos verkauften, und so ihren CO2-Fußabdruck Schritt für Schritt vergrößerten? Die verbrauchsarme Automodelle aus ihrem Sortiment strichen? Die mittels Lobbyarbeit des Branchenverbands VDA Zweifel am menschengemachten Klimawandel säten? Die heute ankündigen, in Zukunft vor allem mit verbrauchsintensiven SUV ihr Geld verdienen zu wollen? Und die ihre Geschäftsstrategie immer wieder mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und des „Industriestandorts Deutschland“ verteidigen – mit großer Schützenhilfe der Gewerkschaften und der Politik. Verbreitet das nicht Angst und Schrecken? Ist die kaum verhohlene Drohung mit Massen-Arbeitslosigkeit und Wohlstandsverlust zur Rechtfertigung eines klimakatastrophalen „Weiter so“ nicht Terror?
Sie kennen natürlich die Antwort. Dennoch: Aktivisten sind in der sich zuspitzenden Klimakatastrophe wichtiger denn je. Sie bilden den Antagonisten einer profitorientierten Wirtschaft und weiten den Rahmen – im positivsten Sinne – des Denkbaren. Sie geben Ideen für alternative Lebens- und Wirtschaftswelten, die uns heute noch abstrus vorkommen mögen. Während Umweltorganisationen wie Greenpeace als „alte Hasen“ mit professionellen Mitteln Kämpfe ausfechten, tun es die Aktivisten mit Sekundenkleber. Zum Glück.