Ihre Haltelinien benennt die Betriebsratschefin im Interview vom 14.07.23 in WN so:
„Die eine (Haltelinie) ist die Beschäftigungssicherung, die wir bis 2029 haben. Wenn wir hier irgendwelche Dinge machen, dann immer sozialverträglich.“
Wer hat bei Volkswagen eine Zukunft, wer nicht? Wer ist alt genug, um davon zu profitieren? Was ist mit den anderen? Was sind „irgendwelche Dinge“? Das Wort Entlassungen mag sie nicht in den Mund nehmen. Sie hat sich wohl schon zu sehr an den Neusprech der Geschäftsleitung angepasst, der die Benennung der garstigen Realität nicht über die Lippen kommt. Sie spricht gern von „Performance-Programm“. Das klingt nach moderner Welt, bedeutet am Ende jedoch auch nur Arbeitslosigkeit.
„Und das zweite Thema ist: Wir dulden keine tariflichen Einschnitte. Das sind unsere Maßgaben, alles andere müssen wir uns angucken.“
Schön wäre es, Frau Cavallo guckte alles an. Dann würde sie nämlich feststellen, dass in ihrer Perfomance die Gesellschaft nicht vorkommt. Diejenigen, die Glück haben und dabei bleiben können, behalten ihren Tarifvertrag. Alles andere wird ausgeblendet. Kann das die Perspektive sein für den größten Fahrzeughersteller?
Frau Cavallo bringt viel Verständnis auf für die Belange der Aktionäre. Was treibt sie dazu an? Warum fühlt sie sich den Renditen verpflichtet? Es ist nett, dass sie sich mit Herrn Blume und Herrn Schäfer so gut versteht. Doch welches Rollenverständnis wird da sichtbar?
„Wir wollen die Beschäftigten gemeinsam mitnehmen.“
Betriebsrat und Geschäftsleitung nehmen gemeinsam die Beschäftigten mit. Verkehrte Welt. Betriebsrat macht sich mit der Geschäftsleitung gemein statt mit den Beschäftigten. Kein Wunder, dass Mitgliederschwund die Folge ist, dass das Interesse an Gewerkschaft, das Interesse an Engagement im Keller ein kümmerliches Dasein fristen. So entwickeln wir die Demokratie nicht weiter. Im Gegenteil, sie gerät immer mehr in Gefahr. Die Demokratisierung der Gewerkschaftsarbeit durch gestärkte Beteiligung und Partizipation muss die Leitlinie sein. Die möglichst massenhafte, unmittelbare Involvierung von Beschäftigen in die Prozesse führt zu einer wachsenden Identität mit der Gewerkschaft und einer Festigung der gewerkschaftlichen Strukturen – und damit zum Aufbau von Durchsetzungsmacht.
Frau Cavallo, wir brauchen keinen Betriebsrat, der nett mit der Geschäftsleitung plaudert. Wir brauchen eine starke Belegschaft mit Durchsetzungsmacht für die Mobilitätswende in Deutschland. Wir benötigen die Produktionskapazitäten von Volkswagen für den Ausbau der öffentlichen Verkehre. Es ist nicht beliebig, ob wir Straßenbahnen bauen. Es ist existenziell sowohl aus sozialer als auch aus ökologischer Sicht. Die Produktionskapazitäten der Autoindustrie sind fast um das zwanzigfache größer als die des Eisenbahnsektors. Um den ÖPV wie erforderlich sicher zu stellen, könnten wir vermutlich mit einer Verdoppelung von Eisenbahnen, Straßenbahnen und Bussen auskommen, wenn zusätzlich verkehrsreduzierende Maßnahmen ergriffen würden und der Radverkehr in den Städten den nötigen Freiraum erhielte. Dem größten Fahrzeughersteller kommt eine besondere Verantwortung zu.
Noch scheinen die Arbeitsplätze bei Volkswagen relativ gesichert. Doch im “AutomobilclusterWolfsburg” zeigen sich schon erste Risse. Direkt betroffen: der Autozulieferer Conti-Teves in Gifhorn. Dazu die WAZ vom 8.7.: “Continental hatte am Freitag mitgeteilt, das Gifhorner Werk bis 2027 sukzessive herunterzufahren und dann ganz zu schließen… Zwar gilt eine Standortgarantie bis zum 31. Dezember 2025. Nun droht jedoch mit dem Auslaufen von Conti-Produkten bis 2027 eine schrittweise Reduzierung der Produktion – das sogenannte „ramp-down-Szenario“.
Nach neuesten Meldungen gibt es zwar Hoffnung für einen „beträchtlichen“ (?) Teil der Conti-Beschäftigten (Siehe IGM Wob: https://www.igmetall-wob.de/meldung/stiebel-eltron-will-in-gifhorn-produkte-fuer-die-energiewende-bauen). Aber die “Einschläge” kommen auch für die VW-Belegschaft näher. Zu befürchten bleibt: Wenn nicht mit mehr Energie von Gewerkschaften und Sozialverbänden, von Kirchen und Klimabewegung für eine andere Produktion, für den öffentlichen Verkehr und für die sozial-ökologische Transformation gekämpft wird, kommt es zur Katastrophe, zu sozialen Verwerfungen mit allen politischen Konsequenzen. Das von Eva Brunnemann erwähnte IGM-Programm von 1990 sollte nach 30 (!) Jahren endlich konsequent angegangen werden.