Argumentationshilfe zur Argumentationshilfe der IGM Wolfsburg



16.08.2023 | Gestern verteilte die IGM Wolfsburg unter ihren Mitgliedern eine zweiseitiges Schreiben mit
dem Titel: „Argumentationshilfe für die Forderungen der Amsel44-Aktivisten“ (Das Schreiben findet sich HIER. In dem Schreiben stellten sie eingangs treffenderweise drei Kernforderungen der Aktiven aus dem Umfeld des Projekthauses „Amsel44“ dar (Aktive Beteiligung und Betriebsgestaltung, Umbau der Produktion, Vergesellschaftung des Volkswagen-Konzerns). Eingehend auf diese Forderungen schlagen die Herausgeber*innen des Papiers Argumentationshilfen vor. Auf diese Argumente bzw. die Argumentationshilfen der IGM gehen Aktive aus dem Umfeld des Projekthaus „Amsel44“ wie folgt ein:

Zur Einleitung:

“Seit rund einer Woche haben die Aktivisten aus der Amsel 44 die Wolfsburger IG Metall mit verschiedenen Aktionen ins Visier genommen. Unter anderem wurde das Gewerkschaftshaus besetzt, eine falsche Internetseite gelauncht sowie falsche Pressemitteilungen versandt.” Die Behauptung, dass IG-Metallgebäude sei besetzt worden, ist falsch. Das Gebäude wurde außerdem weder gestürmt, noch waren Aktivistinnen maskiert, und es wurden auch keine Beschäftigten bedroht (all diese Behauptungen wurde von der IG Metall aber öffentlich aufgestellt). Es gab auch keinen Überfall – wobei wir einräumen müssen, dass wir dieses Wort im Zusammenhang mit einer der Aktionen leider auch selbst unbesonnen und letztlich auch schlicht falsch genutzt haben. Erst recht sind Bezüge auf die Überfälle von Nazis auf Gewerkschaftshäuser völlig falsch und relativieren deren Verbrechen. Solche Formulierungen gab es aber leider aus IG Metall-Kreisen.
Richtig ist: Aktivist*innen haben bei ihren Aktionen während der Öffnungszeiten das Foyer betreten. Darüber hinaus befanden sich Aktivist*innen außerhalb, also vor, an oder auf dem Gebäude, mit dem Zweck Spruchbänder zu halten, zu befestigen oder Infotische zu betreuen. Nachdem verschiedene Transparente mithilfe von Kletter-Ausrüstung an der Fassade angebracht worden waren, kletterten alle Aktivist*innen freiwillig und selbstständig zurück, sodass keine zeitaufwändige Räumung nötig war. Dass es der IG Metall nunmehr um Dramatisierung geht, zeigen auch die ersten Worte “seit rund einer Woche”. Tatsächlich gab es an zwei Tagen Aktionen – angesichts von inzwischen über einem Jahr intensiver Aktivitäten für eine Verkehrswende bei VW und in der Stadt Wolfsburg ist die IG Metall bislang also sehr wenig adressiert worden. Tatsächlich hatten die Aktivist*innen bisher gehofft, dass sich die
Gewerkschaft ihren eigenen (Satzungs-)zielen entsprechend für Transformation und Vergesellschaftung einsetzen würden – eine Hoffnung, die enttäuscht wurde.

Zu ersten Forderung:
„Basisdemokratie ist Alltag in der IG Metall. Jedes Mitglied hat die Chance, sich über unsere Arbeitskreise oder als Delegierter aktiv in die Meinungsfindungsprozesse der Gewerkschaft einzubringen.” (Zitat IGM Argumentationspapier)

Hier widerlegt sich die IG Metall selbst. Basisdemokratie meint gerade nicht eine Struktur mit Delegierten. Dafür gibt es den Begriff der repräsentativen Demokratie. Allerdings wäre selbst diese Bezeichnung für die IG Metall eher schmeichelhaft, hat doch tatsächlich eine oft recht kapitalnahe Funktionärsschicht das Sagen (=die “Vollmacht” zum Handeln). Vor kurzem äußerte sich der dritte Bevollmächtigte der IGM Wolfsburg zum Thema Verkehr: “Das ist ein sehr guter Tag für den Flughafen. Ich würde mich freuen, dass es, so wie in den Vereinigten Staaten, normal wird, zum Mittagessen in eine andere Stadt zu fliegen.” (Braunschweiger Zeitung, 15.08.2023)
Vertritt man ungewollte Meinungen und Positionen kann es schnell passieren, dass man vom “Apparat” aussortiert wird. So haben wir Kenntnis von mehreren Vorfällen bei denen VW Beschäftigte, die sich auf die eine oder andere Art mit dem Projekt Amsel44 solidarisiert haben direkt signalisiert bekommen haben, dass sie in Gefahr sind ihre Position innerhalb der IG Metall zu verlieren.
Die teilweise festgefahrenen Strukturen der IG Metall hemmen wirkliche Partizipation und bremsen progressive Positionen dadurch aus.

“Über die einzigartige Struktur der Wohnbezirke stehen in Wolfsburg sogar noch mehr Möglichkeiten zur Verfügung. Auch Volkswagen ist mit seiner einzigartigen Mitbestimmungsstruktur und der Beteiligung des Landes was diesen Punkt angeht wesentlich besser aufgestellt, als die meisten anderen Unternehmen.“ (Zitat IGM Argumentationspapier)

Es ist richtig, dass bei Volkswagen eine für sehr große Konzerne einzigartige Mitbestimmungsstruktur herrscht. Die ist aber nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern gründet in einer einzigartigen Konzerngeschichte und ist vor Allem das Ergebnis erfolgreicher kämpferischer Gewerkschaftsarbeit. Gerade deshalb sollten wir dieses Potential auch ausschöpfen und nutzen.


Zur zweiten Forderung:

„Die Forderung, die Produktion in Wolfsburg „mal eben“ auf komplett andere Industrieträger umzustellen, zeugt von mangelndem Verständnis und wertet zudem die Lebensleistung der Beschäftigten ab.“ (Zitat IGM Argumentationspapier)


Niemand hat behauptet, dass die Produktion „mal eben“ umgestellt wird. Vielmehr haben die Aktivist*innen bei ihren Aktionen in der vergangenen Woche um die Unterstützung für die Forderung nach einer Machbarkeitsstudie geworben. Wenn die IG Metall-Spitze jetzt ohne eine solche Studie behauptet, dass dieser Umbau nicht möglich sei, bewegt sie sich im rein Spekulativen und offenbart damit, dass sie hinsichtlich der Verhinderung einer nötigen Veränderung auf der Seite des Kapitals steht. Klar ist: Es sind schwere Entscheidungs- und große Umbauprozesse, die auf dem Weg dahin gegangen werden müssen. Umso wichtiger ist es, frühzeitig den richtigen Weg einzuschlagen. Denn es ist erstens möglich und zweitens notwendig, die Produktion auf andere Produkte umzustellen. Mit der inzwischen gestrichenen Planung für die Fabrik in Warmenau war ja ebenfalls ein neues Produkt und neue Produktionsverfahren verbunden. Viele Maschinen könnten auch für die Fertigung anderer Produkte als Autos genutzt werden. Eine Presse ist eine Presse. Ob sie nun Autotüren oder Elemente für Straßenbahnen herstellt, interessiert die Presse nicht. Es muss nur das jeweils passende Werkzeug in die Maschine eingesetzt werden. Lackiererei, Gießerei, Schweißroboter, Montagestraßen usw. müssen nicht ausgetauscht werden, sondern können mit neuen Werkzeugen bestückt, umprogrammiert und weiter genutzt werden auch für die Produktion anderer Produkte als Autos.Und wie soll das funktionieren? In Wolfsburg arbeiten die weltbesten Ingenieurinnen zusammen mit
Metallarbeiterinnen, IT-Fachkräften, Elektriker*innen, Logistikexpert*innen. Bei über 60.000 Beschäftigten alleine am Standort Wolfsburg kommt ein geballtes Know-How zusammen, mit dem wir, wenn wir es wollen, gemeinsam vieles erreichen können. Klar ist: in der Forderung steckt keine Abwertung der Lebensleistung der Beschäftigten sondern vielmehr großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Beschäftigten zu großen Veränderungen und Fertigkeiten zur Entwicklung und Produktion von weitaus mehr als nur Autos. Die Aussage, die Forderung eines Produktionsumbaus zeuge „von mangelndem Verständnis“ , ist eine platte und unwahre Unterstellung und wertet das Werk vieler mutiger Zukunftsforscher*innen ab, die sich dieser Frage in
Studien und wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet haben. Als ein gutes Beispiel sei hier die von Ex-VW-Betriebsrat Stephan Krull mit herausgegebene „Spurwechsel“-Studie erwähnt.
Das wäre übrigens nicht das erste Mal in der Industriegeschichte, dass ein großer Betrieb seine Produktion umbaut.

Drei Beispiele seien im Folgenden genannt:

  • Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Ford Willow Run Fabrik in Michigan von der Automobilproduktion zur Produktion von B-24 Liberator Bombern umgestellt. Die Fabrik wurde damit in Rekordzeit zu einer der größten Flugzeugfabriken der Welt umgebaut.
  • Der Bau der Tesla Gigafactory in Shanghai erfolgte von der ersten Ankündigung bis zur Produktion der ersten Elektrofahrzeuge in nur einem Jahr.
  • Im SEAT-Werk in Martorell wurden zu Beginn der Corona-Pandemie die Produktionsanlagen umgebaut. In Rekordzeit wurde die Produktion von Scheibenwischmotoren auf Beatmungsgeräte umgestellt. Sergio Arreciado von der Abteilung Verfahrenstechnik bei SEAT dazu: „Eine Montagelinie, an der eigentlich Fahrzeugteile produziert werden, so umzurüsten, dass hier Beatmungsgeräte gefertigt werden können, war eine umfangreiche, schwierige Aufgabe, an der viele Bereiche des Unternehmens beteiligt waren. Aber wir haben es in einer Rekordzeit geschafft“


„Es ist eben nicht so einfach, dass Volkswagen statt Autos ganz einfach ab morgen eben Straßenbahnen
produzieren kann – zumal das ja auch niemand will, von den Aktivisten mal abgesehen.“
(Zitat IGM Argumentationspapier)

Das Volkswagen „ganz einfach ab morgen“ Straßenbahnen produziert, ist natürlich absurd. Es sind große
Weichen, die auf dem Weg dahin gestellt werden müssen und entsprechende Umbauprozesse dauern seine Zeit. Gerade deshalb ist es aber notwendig, entsprechende Weichen schon heute zu stellen, sodass nicht „ab morgen“ alles anders ist, aber unsere Kinder und Enkel auch gute Arbeit und ein gutes Leben haben. Trotz jährlicher Gewinne in Milliardenhöhe haben sich die IGM und VW auf einen langfristigen Stellenabbau geeinigt. Alleine in Wolfsburg sollen 15.000 Arbeitsplätze für immer verschwinden. Auch wenn klar ist, dass die aktuell Beschäftigten (aus der Stammbelegschaft) nicht gekündigt, sondern Stellen nicht mehr nachbesetzt werden, wird dieser Stellenabbau deren Familien treffen. Denn wo sollen unsere Kinder arbeiten, wenn die guten und gut bezahlten Arbeitsplätze bei VW immer weniger werden?
Mit neuen und zusätzlichen Jobs in der Produktion neuer Mobilitätskonzepte könnten wir gleichzeitig den
Stellenabbau verhindern, einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise und für eine Verkehrswende leisten und damit gutes Leben und gute Arbeit in der Region langfristig sichern. Das ist sicherlich nicht nur im Sinne der „Aktivisten“.
Spätestens mit dem gigantischen Abgasbetrug steigt in der Belegschaft bei VW der Wunsch, sinnvolle und ehrliche Produkte herzustellen. Lasst uns das gemeinsam angehen!

„Und selbst, wenn man das mal theoretisch durchspielt: Die vielen Jahrzehnte an Erfahrung bei den Beschäftigten rund um Entwicklung, Produktion und Vertrieb der weltbesten Pkw wandeln sich eben nicht wie von Geisterhand in neue, wettbewerbsbeständige Kompetenzen auf einem komplett neuem Feld.“ (Zitat IGM Argumentationspapier)

Richtig: nicht von Geisterhand – sondern von Menschenhand. Mit Menschenverstand.
Lasst uns nicht kleiner machen als wir sind. Mit den vielen Jahrzehnten an Erfahrung bei den Beschäftigten in Entwicklung, Produktion und Vertrieb der vermeintlich weltbesten PKW, die in Wolfsburg zusammenkommen, können wir bisher Undenkbares denkbar machen. Wenn die Beschäftigten bei Volkswagen keine Kompetenzen in Entwicklung und Aufbau einer guten und zukunftsfähigen Produktion haben – wer hat sie dann?

“Zudem ist die Perspektive in diesem Feld keinesfalls so rosig, wie die Aktivisten behaupten. Der Personenverkehr mit Bussen und Bahnen ist 2022 trotz des 9-Euro-Tickets und des Nachholbedarfs nach den Pandemie-Jahren rückläufig gewesen. Insbesondere bei Omnibussen und Straßenbahnen ist der Einbruch gegenüber dem Niveau vor der Pandemie geradezu dramatisch.” (Zitat IGM Argumentationspapier)

Dass Fahrgastzahlen im ÖPNV rückläufig sind, ist eine Falschbehauptung. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen eine Zunahme um etwa 10% gegenüber der Vor-Pandemie-Zahlen. Natürlich muss das mehr werden. Wenn wir eine Verkehrswende, eine klima- und sozial gerechte Zukunft wollen, dann müssen wir daran arbeiten.
Die Transformation findet nicht nur hinter den Toren von VW statt, sondern sie muss überall passieren. Im Verkehrssektor richtet sich die Nachfrage größtenteils nach dem Angebot. Ein gut ausgebauter, niedrigschwellig nutzbarer ÖPNV wird genutzt. Gerade das 9-Euro-Ticket hat den Ausbaubedarf deutlich gemacht. Dafür braucht es aber auch entsprechende Verkehrsmittel: Straßenbahnen, Busse oder ganz andere, neue öffentliche Mobilitätsformen. Öffentliche Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge muss durch den Bund finanziert werden, die Kommunen dürfen damit nicht alleingelassen werden.
Durch starke öffentliche Mitbestimmungsmöglichkeiten, durch die Anteile des Landes Niedersachsen und die strukuturelle Mehrheit von Belegschafts- und Landesvertreter*innen im Aufsichtsrat könnte gerade Volkswagen für Verkehrswende-Pionierarbeit genutzt werden.

Zur dritten Forderung:

„Dieser Teil Satzung ist viele Jahrzehnte alt und stammt aus den Nachkriegsjahren. Muss eventuell also auch im historischen Kontext gesehen werden.“ (Zitat IGM Argumentationspapier)

Auch dieser Teil der Satzung wurde in der letzten Satzungsänderung 2020 beibehalten. Er bleibt also selbsterklärtes Ziel der IG Metall.

„Die Forderung nach einer Vergesellschaftung, so realitätsfern sie auch ist, kann also generell nur durch ein Gesetz erfolgen. Insofern ist hier die Politik und nicht die IG Metall der richtige Adressat.“ (Zitat IGM Argumentationspapier)

Die IGM kann natürlich keine Gesetze erlassen. Doch die IG Metall kann auch keinen Industriestrompreis einführen und trotzdem ist es ein immer wiederkehrender Teil ihrer Forderungen. Die IG Metall übt natürlich, genau so wie jede andere Gewerkschaft, politische Macht aus und kann so politische Entscheidungen beeinflussen. Das ist nicht nur Theorie, sondern wie zum Beispiel an der Kampagne zum Mindestlohn sichtbar war, gängige Praxis. Die Satzung wurde nach dem Krieg geschrieben, mit dem Ziel, dass durch Eigentum keine Menschen mehr zu Grunde gerichtet werden. Aktuell werden Menschen durch die Produktion von Autos zu Grunde gerichtet (Verkehrstote, Verletzte, Umweltzerstörung…). Ein Weiter-So der Autoproduktion geht neben dem Leben Unbeteiligter auch auf Kosten der Beschäftigten in der Autoindustrie selbst. Nutzen tut sie alleine den Profiten der Kapitaleigner*innen.
Und diese Verhältnisse spitzen sich stetig zu. Die Satzung ist für heute und jetzt gemacht.

Herausgegeben von Aktiven
aus dem Umfeld des Projekthaus “Amsel44”
Amselweg 44, 38446 Wolfsburg
Telefon: +49 5361 8341079
E-Mail: post@amsel44.de
www.amsel44.de

Hier ist das Argumentationspapier aus dem Amsel44-Umfeld als pdf zu finden

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