Das große Jammern der Autokonzerne

Kommentar von Eva Brunnemann zum Artikel „Sorge um VW: Land protestiert gegen strengere Abgasnorm Euro 7“, Hannoversche Allgemeine vom 4./5. Februar 2023

Winfried Kretschmann, Grüne und Daimler-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Markus Söder CSU und BMW-
Ministerpräsident in Bayern und Stephan Weil, SPD und VW-Ministerpräsident in Niedersachsen haben gemeinsam ihren Protest gegen die neue Abgasnorm bei Bundeskanzler Olaf Scholz hinterlegt.

Die Ministerpräsidenten der Autoländer machen sich das Gejammer milliardenschwerer Konzerne
zu eigen. Sie warnen vor „disruptiven Umwälzungen und Strukturbrüchen“. Das sind starke
Worte, aber nicht etwa für die Klimawandelfolgen, nicht für die Katastrophe, in die wir hineinrasen.
Im Gegenteil. Die Autokonzerne schaffen es seit Jahrzehnten nicht, sich von kurzfristigen, privaten Interessen zu
lösen und eine langfristige, zukunftsfähige Produktion auf den Weg zu bringen. Sie klammern sich
an alte Konzepte und stecken damit in der Sackgasse. Sie hängen am Tropf der Subventionen,
gepampert von einer Politik, die ihnen zu Füßen liegt.

Einig deutsches Autoland: SPD, Grüne und CSU in treuer Gefolgschaft

Stephan Weil, SPD und VW-Ministerpräsident in Niedersachsen, Winfried Kretschmann, Grüne und
Daimler-Ministerpräsident in Baden-Württemberg und Markus Söder CSU und BMW-
Ministerpräsident in Bayern haben gemeinsam ihren Protest gegen die neue Abgasnorm bei
Bundeskanzler Olaf Scholz hinterlegt.

Sie argumentieren mit „angemessenen Umsetzungsfristen“. Die bemitleidenswerte Autoindustrie
hatte keine Zeit, sich auf neue Anforderungen einzustellen.
Aber gab es da nicht mal irgendwas 1972 über Die Grenzen des Wachstums? Auch in den 90er
Jahren gab es Einsichten und Lichtblicke. 1990 fand die „Verkehrspolitische Konferenz der IG Metall und des Deutschen Naturschutzringes“ statt, in deren Folge das Buch Auto, Umwelt, Verkehr -Umsteuern, bevor es zu spät ist erschien.

Umsteuern, bevor es zu spät ist, aus der Feder der IG Metall. Waren wir 1990 viel weiter als heute?

Wo sind wir gelandet trotz dieser Erkenntnisse? Das sehen wir heute an den Klimawandelfolgen, an
den gesundheitlichen Schäden durch Abgas und Lärm, an der Beeinträchtigung von Lebensqualität
durch Autos im öffentlichen Raum, am Ausschluss all jener, die nicht Autofahren dürfen oder
können und nicht zuletzt an den Toten und Verletzten im Straßenverkehr. Warum sind wir dort
gelandet? Ein Grund ist ganz sicher, dass wir unsere Geschicke verantwortungslosen
Konzernmanagern überantworten.

Ab 1991 war Daniel Goeudevert Vorstandsmitglied der Volkswagen AG. Er forderte ein neues,
komplexes Mobilitätskonzept mit Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und Entwicklung
umweltfreundlicher Autos. Doch ein weitsichtiger Denker war in der Führungsetage nicht
willkommen. Goeudevert musste daher 1993 Volkswagen verlassen.

Industrie und Politik haben immer von nichts gewusst und werden üblicherweise von den
Geschehnissen überrascht. Sie wissen also auch nicht, dass die Pläne für die
Elektrofahrzeugproduktion bereits 15 Jahre alt sind und verkünden nun unisono, sehr viel klüger
wäre es, „sich voll auf die Zukunft zu konzentrieren: die Elektromobilität“. Nicht nur das
Gedächtnis unseres Kanzlers lässt zu wünschen übrig. 2009 legte die Bundesregierung einen Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität vor, dessen Ziel es war, Klimaschutz mit Industriepolitik zu verknüpfen. Deutschland sollte zum Leitmarkt für Elektromobilität werden, indem bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen gebracht werden. Damals titelte die Zeit: „Merkel und Autolobby beschwören Führungsanspruch“. Was ist
daraus geworden? Viele Konferenzen, viele Papiere, kein Ergebnis. Wäre die Autoindustrie den Vorschlägen Daniel Goeudeverts gefolgt und hätte die Elektrofahrzeugproduktion in ein gesamtes Mobilitätskonzept gebettet, wären wir heute woanders.

Die heilige Kuh Autoindustrie bleibt in Deutschland unangetastet

Tatsächlich jedoch hatte sich VW der „Verschwörung zum Betrug“ verschrieben, manipulierte die
Abgaswerte und pries in großen Werbekampagnen den besonders sauberen „Clean-Diesel“. Mit
einem solchen Lebenslauf sollte die Karriere eigentlich beendet sein. Wer würde einer solchen
Firma nochmal einen Auftrag geben? Doch die heilige Kuh Autoindustrie bleibt in Deutschland
unangetastet, mehr noch, wird weiterhin hofiert und ihre Wünsche werden zum Maßstab aller Dinge
gemacht.

Also bläst auch die Hannoversche Allgemeine in das Horn und befragt ausgerechnet die
FahrDochPorsche Partei, als ob wir nicht schon täglich mit den Litaneien des Bundesautoministers
Wissing malträtiert würden. Der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, unterstelle den
Grünen indirekt einen „Kulturkampf gegen das Auto“. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass
Autobahnen heute weniger gebraucht werden als früher. Und Pkw können durch synthetische
Kraftstoffe klimaneutral werden“, sagte Dürr.

Kulturkampf gegen das Auto ist das nicht …

Ich unterstelle ihm einen Kulturkampf gegen jeden Fortschritt und Veränderung, einen Kulturkampf
für die Privilegien der Anteilseigner, eben seine FDP Klientel. Es ist eine Illusion zu glauben, dass
wir mit mehr Autobahnen, also mit immer mehr desselben, ein anderes Ergebnis erzielen. Wer
Straßen säht, wird Verkehr ernten. Und bitte bleibt mal realistisch, PKW können niemals
klimaneutral sein, und ja, auch Straßenbahnen nicht. Doch es gibt einen entscheidenden
Unterschied. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren wir viele Menschen mit relativ wenig
Aufwand. Ein PKW transportiert einen Menschen mit enorm viel Aufwand.

Gern stelle ich mir eine Welt vor, in der die höchsten Politiker derart engagiert für die Interessen der
Vielen in die Bresche springen: die Ministerpräsidenten fordern Mobilität für alle, Stadt für
Menschen statt für Autos, mehr Gehalt und Personal in der Kranken- und Altenpflege, ein
Milliardensondervermögen für Bildung, die Gleichstellung der Sorgearbeit durch Einführung der
20-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit …

In diesem Interessenkonflikt stehen die Politiker auf der Seite der Konzerne. Es bleibt zu hoffen,
dass immer mehr Menschen das erkennen und die Erzählung von der Sozialpartnerschaft und
Betriebsgemeinschaft dahin verbannen, wo sie hingehört, ins Reich der Märchen.

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