Warum Feminist*innen keine Autos produzieren

Redebeitrag zum 8. März

Im Rathaus Wolfsburg wurde aus Anlass des 8. Märzes eine Ausstellung aufgebaut, die unter dem Titel „Mütter des Grundgesetzes“ 4 Frauen vorstellt: Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel. Diese vier waren als alleinige Vertreterinnen ihres Geschlechts an der verfassungsgebenden Versammlung der BRD beteiligt. Das Thema der Ausstellung grundsätzlich ist dabei auch Frauenvertretung in parlaments-politischen Strukturen. Die Aussage ist eine Problematisierung ihrer bis heute zu geringen Anteile. Die Forderung: Mehr weibliche Politiker:innen!

Die „Mütter des Grundgesetzes“ begeben sich im Wolfsburger Rathaus damit in die Gesellschaft einer weiteren Frau, nämlich Sibylle von Schieszel, der sich ein prominenter Aufsteller neben dem Eingang des Hauses widmet. Sie machte Karriere und Geschichte bei VW, wo sie die erste Hauptabteilungsleiterin für Qualitätsmanagement und somit die erste Chefingenieurin im Konzern wurde.

Also: „Starke Frauen“, „Power-Frauen“, weibliche „Vorreiter:innen“ werden in Wolfsburg geehrt?
Ist das nicht erst einmal Anlass zur Freude?
Natürlich ist es erfrischend, wenn überhaupt historische Frauen sichtbar sind, im Sumpf der Überrepräsentanz weißer Männer, die „Geschichte schrieben“ – und diese eben durch ihre fehlende Wahrnehmung ihrer weiblichen Zeitgenoss:innen verzehrten (und das bis heute tun).
Dennoch will den vorliegenden Fall problematisieren, denn es gibt Gründe, wieso ausgerechnet diese Frauen geehrt werden.

Meine These: Feminismus ohne Systemkritik verläuft im Sand einer Gleichstellung in der unhinterfragt fortbestehenden patriarchalen Ordnung.

Dafür müssen wir uns zuerst mit ein wenig feministischer Theorie beschäftigen und dafür will ich eine (für den Rahmen sehr begrenzte) Definition des Patriarchats vornehmen.
Also, das Patriarchat ist kein bloßes individuelles Prinzip, nicht die Summe einzelner Diskriminierungserfahrungen, die FLINTA-Personen machen, sondern das ordnende Prinzip, das ihnen zugrunde liegt, als das Muster ihrer Anordnung. Diese sind nämlich nur die Spitze des Eisberges und wir müssen uns fragen, wie und wieso sie geschehen, was ihnen zugrunde liegt.
Was ich damit meine, wird vielleicht deutlich an einem Beispiel:
Beim Thema der sexualisierten Gewalt, hat sich (langsam und durch die Mühen vieler Betroffener) die Erkenntnis verbreitet, dass es nicht um Einzelfälle von individuell-schuldigen, womöglich charakterlich verdorbenen Tätern, sondern um ein gesellschaftliches Muster handelt. Dieses Muster reproduziert sich durch kulturelle Skripte und Denkweisen, die wir alle erlernen, z.b. das Narrativ, dass ein „Nein“ von weiblich-zugeordneten Personen keine Gültigkeit besitzt, ja sogar eine Aufforderung darstellt. Was diese selbst so weit verinnerlichen, dass ihnen dieses „Nein“ oftmals noch vor Aussprache im Halse stecken bleibt.
Das Patriarchat ist somit eine Kultur, die aus der Tradition von Jahrtausenden unsere Gesellschaft durchdringt. Diese patriarchale Kultur stellt auf der Grundlage von patriarchalen Werten, Herschaftsverhältnisse her, die sich in unseren Handlungen, Normen und sogar Gefühlen niederschlagen. Wir haben sie also alle tief verinnerlicht. Diese Werte sind „männliche“ Werte, zumindest verstehen wir sie als solche: Die Herrschaft der Rationalität über die Gefühle, des Materiellen über das Soziale, des Geistes über den Körper.
Wir sehen, dass das Problem nicht die einzelnen Männer sind, sondern ein Konstrukt von Männlichkeit, das als Blaupause für unsere ganze Gesellschaft dient.
Wenn unser Leben also disproportional auf Konkurrenz statt auf Zusammenarbeit beruht, auf Aggression statt Fürsorge, obwohl wir als Menschen die Fähigkeit zu Beidem besitzen, dann steht dahinter das Patriarchat.
Da das nun ein wirklich sehr kurzer Abriss, eines doch sehr allumfassenden Themenkomplexes ist, möchte ich diesen Teil mit zwei Autor:innen zum Weiterlesen beenden, die aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen; Einmal Maria Mies aus dem deutschsprachigen Feminismus der „zweiten Welle“ und Abdullah Öcalan, dem Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung, auf dessen Schriften die „Frauenrevolution“ in Rojava aufbaut.

Mit diesem theoretischen Hintergrund können wir nun verstehen, wieso es falsch und irreführend ist, Feminismus nur als Teilhabe von FLINTAs an vom Patriarchat durchdrungenen Strukturen zu sehen. Dadurch können wir diese nämlich nicht überwinden, maximal seine Symptome bekämpfen. Mehr noch, das emanzipatorische Potential der feministischen Bewegung wird entschärft. Ihr werden die Zähne gezogen, wenn alles, was sie fordert, mehr Teilhabe an den Früchten von Ausbeutung und Gewalt ist.

Weibliche Abgeordnete, die in einer sexistischen Institution, wie dem Bundestag, konservative Politik machen, sind nicht fortschrittlich!
Weibliche Ingenieurinnen, die in Großkonzernen Arbeiter:innen ausbeuten und unsere Umwelt zerstören, sollten nicht gefeiert werden!

Sicherlich mussten sich diese Frauen auf ihrem Weg extrem viel sexistischer Scheiße aussetzen. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie die wenigen, vergleichsweise privilegierten, Kompliz:innen einer patriarchalen Herrschaft sind, in der sie sich, zweifellos mühevoll, einen Platz an der Sonne erkämpft haben.
Ein Beispiel: Die „Powerfrau“ Sibylle von Schieszel konnte während der Nazizeit weiterhin studieren, weil sie Mitglieder der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront und dem National-Sozialistischen Deutschen Studenten Bund (NSDSTB) war.
Was ein tolles Vorbild! Was ein #Girlboss!
Wenige Frauen in Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft werden der Masse an Menschen, die unter deren Ungerechtigkeit leiden, nicht helfen!

Feminismus ist eine Farce, wenn er bedeutet: weibliche Aktionär:innen und Manager:innen, die Geld auf dem Rücken anderer scheffeln, weibliche Soldatinnen, die in den Krieg ziehen und morden, FLINTAs in der Politik, in der Polizei und anderen rassistischen und sexistischen Institutionen.

Nur wenn wir wir grundlegend überdenken, wie wir zu anderen Menschen in Beziehung treten wollen. Nur wenn wir wirklich den Anspruch verfolgen, uns vom Patriarchat, und der Herrschaftsordnung die es erschaffen hat, zu befreien. Nur dann können wir Alle – Ob wir uns als weiblich, männlich, oder etwas ganz anderes definieren – erkennen, dass wir in einem auf Ungleichheit aufgebauten System alle etwas zu verlieren haben. Und dann können wir auch gemeinsam kämpfen!
Für eine radikal-andere, eine schönere, eine freiere und lebenswerte Gesellschaft.

Ich wünsche euch allen einen freudigen und kämpferischen 8. März!

Und wenn ihr jetzt Lust habt zu überlegen und zu experimentieren, wie ein bessere Gesellschaft abseits von Umweltzerstörung und Profitlogik aussehen könnte, dann will ich eine ganz herzliche Einladung in die Amsel 44 aussprechen! Die Amsel ist ein politischer Freiraum mit dem Schwerpunkt Verkehrswende, aber ganz viel Platz für alle emanzipatorischen politischen Perspektiven.

Ein Gedanke zu “Warum Feminist*innen keine Autos produzieren

  1. Guter Beitrag zum Internationalen Frauentag! Und fast bezeichnend, dass in Wolfsburg eine VW-.Magagerin geehrt wird. Diese Ehrung im Rathaus Wolfsburg findet im Rahmen der Frauenorte Niedersachsen statt: https://www.frauenorte-niedersachsen.de/
    In Braunschweig ehrt man dagegen in diesem Rahmen eine demokratische Kämpferin: Minna Faßhauer – https://www.frauenorte-niedersachsen.de/die-frauen/politik/minna-fasshauer/
    Minna Faßhauer war führend an der November-Revolution in Braunschweig beteiligt und wurde die erste Ministerin in Deutschland in der jungen Republik

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