85 Jahre Stadt des Kraft durch Freude Wagens (b. Fallersleben)
Ein unbedeutendes Niedersachsener Hinterland wurde 1938 zum nationalsozialistischen Modellprojekt erkoren – Grund zum Feiern!
Kann eine größenwahnsinnige Rüstungsfabrik zur Stadt mutieren?
Der Nationalsozialist, korrupte Unternehmer, SS-Oberführer und Träger des „Totenkopfringes“ derselben sowie hobbymäßige Autoschrauber Ferdinand Porsche machte dies mit seinem Pioniergeist möglich.
Auch mit dabei waren mindestens 20.000 Zwangsarbeiter:innen.
Ein Erbe, dass sich bis heute in der Stadt wirkt – und auf den Bankkonten der Porsche/Piechs.
Woher kommt Wolfsburg? Wohin können wir von hier gehen? Und für welches Volk ist eigentlich dieser Wagen?
Zeit für einen kritischen Einblick in die Stadtgeschichte!
Stadtgründung durch die Nazis
1934 – Hitler möchte will ein Wagen für das deutsche Volk bauen lassen. Dieser „Volkswagen“ soll die Propaganda des Aufstiegs der arischen Arbeiterschaft verkaufen – für weniger als 1000 RM.
Zur Verwirklichung des Fließband-produzierten Wohlstand und dem Massenfabrikat des Privat-Automobils, sollte es unter den Nazis jedoch noch nicht kommen. Bis Kriegsende verließen nur 630 zivile Fahrzeuge das Werk – für führende NSDAP-Funktionäre.1
Mit enteignetem Kapital der freien Gewerkschaften, wurde auf der grünen Wiese am Mittellandkanal vor allem eins errichtet – Die totale Rüstungsfabrik.
1938 wird unter Anwesenheit Hitlers mit dem Bau begonnen.
Mit Beginn des Krieges wurden in der Stadt des KdF-Wagens auf Kriegsproduktion umgestellt, mehr als 60.000 Fahrzeuge lieferte VW für den deutschen Vernichtungskrieg an Wehrmacht und SS, zudem Kampfflugzeuge, Minen und Flugbomben.2
Dabei waren die wirtschaftlichen Erfolge von VW in direkter Linie vom Angriffskrieg abhängig, 1940 erzielte VW in der Folge 31 Millionen RM Umsatz.3
Gebaut werden sollten nicht nur Kübelwagen und Panzerteile, der Größenwahn der Nazi-Führung plante ein monumentales Farbik-Werk, das bis heute das Stadtbild in Wolfsburg bestimmt. Die unterliegende Vision war die einer nationalsozialistischen Stadt, einem materiellen Ort zur Verwirklichung der faschistischen Gesellschaft. Mit dieser wurde der Architekt Peter Koller betraut.
Dieses soziologische Experiment schlug objektiv fehl. 1945 waren die meisten der geplanten Wohnung nicht gebaut, unter der Kriegszerstörung verblieb ein Flickenteppich an Arbeitsbarracken. Dennoch, eine Struktur aus Stadtkrone (den Luxusbauten für Parteifunktionäre) und an den Elends-Unterbringungen für Zwangsarbeiter:innen und Häftlinge, die in Wolfsburg buchstäblich in Stein gemeißelt wurde, verschwindet nicht einfach so.
Die Porsche-Piechs: Eine Dynastie von Kriegsverbrechern
Ferdinand Porsche, ein ambitionierter Ingenieur mit Arbeitserfahrung in der Automobil- und Rüstungsbranche bekommt den Auftrag, den „Volkswagen“ zu entwickeln. Sein früherer Anwalt und Schwiegersohn, der bereits ab 1934 ein frühes Parteimitglied der NSDAP ist, Anton Piech wird ab 1941 Teil der Geschäftsführung bei VW.
Gemeinsam begründen sie einen Familien-Clan, der es heute auf ein geschätztes Vermögen von 35 Milliarden Euro bringt und mit einem Drittel der VW-Aktien sowie 3 Sitzen im Aufsichtsrat, den Konzern immer noch in der Hand hält. Eine „Stunde Null“ hat es für VW nie gegeben.
Ferdinand Porsche hatte bereits 1934 enge Kontakte zur Naziführung und legte hierfür seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zugunsten der deutschen ab. Am 8. Oktober 1937 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 5643287)4. 1938 erhielt er auf dem Nürnberger Parteitag von Goebbels den „Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft“. Den Krieg unterstützte er von Anfang bis Ende, wurde 1941 zum Vorsitzenden der Panzerkommission ernannt und seit dem 30. Januar 1942 als Oberführer in der Dienstliste der SS geführt.
Dass Porsche bis in die obersten Schichten der NSDAP-Führung bestens vernetzt war, zeigt sich auch darin, dass Porsche 1944 Himmler persönlich um die Zuteilung von 3.500 Häftlingen aus den KZs als Arbeitskräfte für das VW-Werk bat. Bei dieser Gelegenheit bekam Porsche von Himmler »als Ausdruck des seit längerem bestehenden guten Einvernehmens« den »Totenkopfring des Reichsführers SS«.5
Unter seiner Leitung wird Volkswagen der Betrieb mit dem „höchsten Zwangsarbeiteranteil in Deutschland“6
Ob Ferdinand Porsche ein „ideologischer“ Nazi war ist irrelevant. Fakt ist, dass er durch seine Schlüsselrolle in der Rüstungsproduktion, seinen breiten Einsatz von Zwangsarbeiter:innen und KZ-Häftlingen für seine persönliche Bereicherung sowie durch die propangadistische Verbindung von VW und der Nazi-Ideologie, dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ (Begriff der dt. Rechtssprechung) leistete und von seiner Menschenfeindlichkeit direkt profitierte.
Historische Kontinui-Tät(er)
Wie bereits erwähnt, fand eine konsequente „Entnazifizierung“ in Wolfsburg niemals statt.
Dies beginnt bein Vermögen des Familien-Clan Porsche-Piech, deren Mitglieder sich, als der Krieg verloren war, Beträge von 931 000 RM in ihr Exil in Österreich überweisen ließen. 1950 wurde dann der Rest ihres Vermögens freigegeben, die Käfer-Patente durften behalten werden, der britische Besatzungsmacht ging es wohl hauptsächlich um die schnellstmögliche erneute Produktivmachung des VW-Werks.7
In Wolfsburg wurden sowohl in der Kommunalverwaltung als auch im VW-Werk viel des Nazi-Personals übernommen, beispielsweise war Nazi-Architekt Peter Koller ab 1955 wieder Stadtbaurat.
Außer dem 1947 hingerichteten Werksarzt Dr. Hans Körbel wurde niemand für die Verbrechen des Tausendfachen Mordes in und um das VW-Werk verurteilt.
Der Prozess um Anerkennung der Betroffenen verläuft schleppend, nach zähen rechtlichen Auseinandersetzungen, die als „Kleinkrieg gegen die Opfer“ charakterisiert wurden8, erklärt sich VW 1998 bereit, 20 Millionen DM in individuellen Entschädigungszahlungen zu leisten.
VW als einer der größten und milliardenschweren Autohersteller, wurde durch die Ausbeutung und Vernichtung Zahlloser aufgebaut. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit diesem Fakt lässt in der „Porsche-Stadt“ Wolfsburg vergeblich auf sich warten.
85 Jahre Stadtgeburtstag sind ein Anlass der Trauer und der Wut. Für die Forderung nach einer Erinnerungskultur, die ihren Namen verdient. Dem braunen und blutigen Erbe von Volkswagen und der Stadt die eigens für den Konzern errichtet wurde, können wir nur durch einen radikalen Bruch gerecht werden – weg, von der menschenverachtenden Profitlogik mit der die Porsche/Piechs bis heute Profit machen. Konsequente Enteignung.
VW für Alle, die für sie schuften (mussten).
Wolfsburg für Alle, die es aufbau(t)en und beleben.
Fußnoten:
1Gründung des Volkswagenwerks: Nazis bauen sich eine Autofabrik | NDR.de – Geschichte – Chronologie
2Gründung des Volkswagenwerks: Nazis bauen sich eine Autofabrik | NDR.de – Geschichte – Chronologie
3Stephan Krull: Chronologie von Porsche und Volkswagen in Bezug zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen in 75 Jahre »Stadt des KdF-Wagen« / Wolfsburg (Stephan Krull (Hg.)
4Christiane Berger: Die nationalsozialistische „Volks“-Propaganda und das Tabu um die Verantwortung Ferdinand Porsches in 75 Jahre »Stadt des KdF-Wagen« / Wolfsburg (Stephan Krull (Hg.)
5Otto Köhler: Das Volkswagenprojekt, Porsche und der Nationalsozialismus in 75 Jahre »Stadt des KdF-Wagen« / Wolfsburg (Stephan Krull (Hg.)
6Siegfried, Klaus-Jörg; Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1939 – 1945
775 Jahre »Stadt des KdF-Wagen« / Wolfsburg (Stephan Krull (Hg.)
8Pross, Christian; Wiedergutmachung – Der Kleinkrieg gegen die Opfer