Liebe IG Metall Wolfsburg,
es ist unbestritten, dass ihr einen guten Job gemacht habt. Einen guten Job innerhalb des gegebenen Rahmens gemäß der Standards, die sich über die Jahrzehnte in der neoliberalen Gemengelage etabliert haben. Eure Mitglieder im Haustarifvertrag genießen eine relative Sicherheit und gutes Einkommen „Das Schmerzensgeld stimmt“, wie der gemeine VWler zu sagen pflegt. Wenn wir in die outgesourcten Bereiche schauen, sieht die Sache schon anders aus, aber das soll hier und jetzt nicht das Thema sein.
Vielmehr geht es um die Standards und wohin sie uns geführt haben. Für einen kleinen Ausschnitt unserer Gesellschaft hat dieses System seine Vorzüge. Wir müssen aber erleben, dass diese partiellen Vorzüge im Gesamtbild fatale Folgen verursacht haben. Die Vormachtstellung des Autos im öffentlichen Raum, die alleinige Förderung der individuellen Automobilität und damit auch die Produktion bei Volkswagen spielen eine erhebliche Rolle bei der Beantwortung der Frage, ob die Menschheit ihre Lebensgrundlagen erhalten kann.
Wir sehen, wohin uns die Standards gebracht haben, wir sehen, so kann es nicht weitergehen. Wir sehen, wir müssen neue Standards etablieren.
Hier sind sicher zwei Bereiche von besonderer Bedeutung.
1. Die Frage Was, Wie und Wo produziert wird.
2. Die Frage Wer darüber Wie und Wo entscheidet.
„Basisdemokratie ist Alltag in der IG Metall. Jedes Mitglied hat die Chance, sich über unsere Arbeitskreise oder als Delegierter aktiv in die Meinungsfindungsprozesse der Gewerkschaft einzubringen.” entgegnet ihr auf die Forderung nach mehr Demokratie.
Und tatsächlich bieten die demokratischen Strukturen eine wunderbare Voraussetzung. Wir müssen aber auch feststellen, dass dies nicht zur wesentlichen Beteiligung geführt hat. Woran kann das liegen? Hierzu zwei Ideen:
- Das IG Metall Motto „Wir kämpfen für dich“ lädt dazu ein sich zurückzulehnen und eine passive Haltung einzunehmen. Es gibt bezahlte Funktionäre. Die werden es richten. In dasselbe Horn bläst Frau Cavallo. Die Betriebsratschefin bekundet ihre Kooperation mit Herrn Blume und Herrn Schäfer. „Wir wollen die Beschäftigten gemeinsam mitnehmen.“ Wozu braucht es Beschäftigte in einer aktiven Rolle, wenn sie von Betriebsrat in Einheit mit Geschäftsleitung „mitgenommen“ werden.
- Jede Krise wurde vom Konzern dazu genutzt, Personalkosten einzusparen. Zu diesem Zweck wurden immer mehr Bereiche outgesourct. Damit fielen immer mehr Beschäftigte aus dem Tarifvertrag. Hier hat die IG Metall zu wenig getan. Selektion zur Wahrung der Standards für die „Stammbelegschaft“.
Von allen Kämpfen der Arbeiterbewegung können wir lernen, dass die Mehrheit bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und den Laden zu schmeißen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Klar, die Voraussetzungen bei Volkswagen sind (noch) nicht gegeben. Aber deshalb das Handtuch werfen? Die Frage ist doch, wie schaffen wir die Voraussetzungen? Auf diesem Spielfeld gibt es jede Menge gemeinsamer Interessen zwischen IG Metall und Klimabewegung. Wenn die Spielregeln klar sind und wir wissen, wer gegen wen antritt, kann sich vieles sehr schnell ändern. Solange die Konstellation Blume, Schäfer und Cavallo antritt für Porsche/Piech, dies aber nicht kenntlich macht, sondern im Trikot der Belegschaft erscheint, herrscht Chaos. Die Motivation sinkt, wer will da noch mitspielen?
Die Krankenhausbewegung hat es vorgemacht
Standards sind Gewohnheiten und schwer zu verändern. Aber es geht. Die Krankenhausbewegung hat gezeigt, wie Standards verändert werden. Es geht, wenn alle zusammen halten, wenn auch die outgesourcten Bereiche einbezogen werden, wenn Beteiligung und Zugang gesichert sind, wenn jede/r eine Stimme hat in transparenten Verfahren. Wer nicht will, findet Gründe. Wer will, findet Wege.
Es bedarf einer weiteren Richtigstellung. In eurer Zurückweisung der Forderungen sprecht ihr von „Verstaatlichung“. Dieses Wort wurde von Aktivist*innen nicht benutzt und ist auch nicht gemeint. Vergesellschaftung beinhaltet einen ganz anderen Prozess mit grundlegenden Garantien für demokratische Strukturen als es die Verstaatlichung meint. Seit „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gibt es in Deutschland eine breite Debatte über Formen des demokratischen Wirtschaftens und den Aufbau entsprechender Strukturen jenseits des Privateigentums in gemeinwohlorientierten Besitzverhältnissen. Dazu gibt es einige Veröffentlichungen, die es wert sind beachtet zu werden.
Aufgezwungene Verantwortungslosigkeit
Die IG Metall unterstellt weiter den Aktivist*innen, sie würden die Lebensleistung der Beschäftigten missachten. Das ist nicht der Fall. Wie können wir ihnen vorwerfen, was sie gar nicht zu verantworten haben? Dazu sagt Dario Salvetti, Mitstreiter bei ex-GKN in Florenz: „Wir befanden uns stets im Dilemma, unsere Beschäftigung und Löhne zu erhalten, aber gleichzeitig unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Wir können nicht für die Produkte verantwortlich gemacht werden. Denn wir wurden nie gefragt, was wir produzieren wollen.“ Es ist die aufgezwungene Verantwortungslosigkeit. „Die Gesinnung, Pflicht zu erfüllen ohne nach den Inhalten zu fragen, wird in den Arbeitsprozessen erworben. Diejenigen, die getrennt sind von der Verfügung und Entscheidungsmacht über Produktionsmittel, geraten tendenziell in eine Situation, in der es ihnen egal ist, was sie produzieren. Sie müssen wieder lernen, Verantwortung zu übernehmen.“¹ Die Erfahrungen der Arbeiterbewegung in Streiks und Fabrikbesetzungen zeigen uns, dieses Lernen vollzieht sich sehr schnell. Menschen mit Entscheidungsmacht gehen erhobenen Hauptes in Würde und Verantwortung.
¹Zitiert nach Klaus Dörre https://www.youtube.com/watch?v=gZ3bpoX84EI