Das Geld ist im Mittelpunkt, nicht der Mensch – Impulsrede auf der Aktionär*innenversammlung von VW

Dieses Redemanuskript ist aus der Erinnerung entstanden. Wie alle meine Reden war diese auch nicht vorbereitet. Sie entstand aus den Impulsen vor Ort während der Aussprache von Oliver Blume & Co sowie den Ereignissen drumherum, um möglichst konkret auf das einzugehen, was gerade im Raum war. Viel Freude beim Lesen.

Einen wunderschönen guten Tag,
ich heiße Tobi Rosswog und komme gerade aus der Verkehrswendestadt Wolfsburg. Einige von euch mögen sie noch als Autostadt kennen. Allerdings tut sich gerade einiges. Vom 5. bis 10. Mai fand das erste Verkehrswendecamp mitten in der Höhle des Löwen – oder besser: Höhle des Wolfs statt. Das Highlight des Camps ist nun diese Hauptversammlung. Mir ist es eine fantastische Freude, auf der Hauptversammlung der Verkehrswende Group sprechen zu dürfen. Denn VW: Das steht bald nicht mehr für Volkswagen, sondern für Verkehrswende.

Dankbar bin ich für die Ausführungen von Olli (Dr. Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen Group und Porsche), wobei einiges klar gestellt werden muss:

Rational betrachtet, ergibt das Auto keinen Sinn

1. Immer wieder heißt es: Es braucht weniger Emotionen bei der Diskussion rund ums Auto und damit den motorisierten Individualverkehr (MIV). Das fordert Olli immer wieder in der Presse. Und da sind wir beieinander. Genau das wäre wirklich angebracht. Weniger Emotion – mehr Ratio. Denn rational betrachtet, ergibt das Auto gar keinen Sinn.

Einige Zahlen verdeutlichen dies:

8-9 Tote jeden Tag, über 1.000 Verletzte. Wäre ein anderes Verkehrsmittel so dramatisch gefährlich, würde es sofort verboten werden. Aber im Autoland Deutschland mit BMW, Daimler und eben auch VW selbstverständlich nicht. Es gäbe noch deutlich mehr Gründe und es wird klar: Wir haben nichts zu verlieren, sondern richtig viel zu gewinnen.

Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto

2. Auf der heutigen Versammlung werden witzigerweise höchst emotionale Bilder vermittelt. Wir sehen „Lilly und Mathilda“ in den Werbespots und die Frage ist zu stellen: Sind damit Kinder oder die Autos gemeint. Schnell wird klar: Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto. Schauen wir nur auf die Berliner Straßen. Es gibt 0,6 m² eingezäunte Spielplatzfläche pro Kind in Berlin, damit es beim Spielen vor den gefährlichen und tödlichen Autos geschützt wird. Hingegen 12m² sind es, die wir dem Auto zum Parken, Rumstehen erlauben: Oder noch genauer: Im Weg stehen und Platz wegnehmen. Das Auto ist das ineffektivste Verkehrsmittel. Es ist kein Fahrzeug, sondern ein Stehzeug: Von 24 Stunden am Tag bewegt es sich nur eine Stunde und dann sitzen nur durchschnittlich 1,2 Menschen drin. Wie absurd. Rational ist das nicht begründbar.

Auto ist nicht alles

3. Olli, Du sagtest vorhin, dass VW „alle Mobilitätsformen“ abdeckt. Ich sehe davon noch nichts, freue mich aber, dass die Aktionen in Wolfsburg Wirkung zeigen und dazu führen, an Fahrrad, Bahn und Bus zu denken. Diese Mobilitätsformen sind aktuell noch nicht im Portfolio, aber wohl angedacht. Oder Du verwechselst mal wieder das Recht auf Mobilität mit dem Recht auf Autofahren und Führerschein. Aber das Auto ist nicht alles. Es gibt noch so viel mehr. Als wir das Protestcamp gegen die E-Autofabrik nördlich des bereits größten Werks der Welt in Wolfsburg platzierten, war unser Slogan: Wir haben eine Utopie, Straßenbahn statt Trinity. Die Dreifaltigkeit geht weiter: Straßenbahn, Busse und Lastenräder. Busse kann VW schon. Das andere dürfen wir noch gemeinsam lernen.

Verkehrswende statt Antriebswende

4. Dann prognostiziert Olli noch 9,5 Millionen Autos in 2023 auf den Markt zu drängen. Wie absurd. Wir haben doch bereits 48 Millionen zugelassene Autos auf deutschen Straßen. Dies sind deutlich zu viele und radikal zu reduzieren. Und mir ist dabei egal, ob die Autos mit Diesel, Benzin, eFuels, Strom oder Luft und Liebe fahren. E-Autos sind eine Scheinlösung. Wir brauchen eine Verkehrswende und keine Antriebswende. Um nicht falsch verstanden zu werden, sei gesagt: Die paar Autos, die wir dann noch brauchen werden für Feuerwehr, Handwerker*innen oder Krankenwagen, können gerne elektrisch betrieben werden.

Aber aktuell ist noch die Devise: Immer schneller, weiter, höher und angeblich besser? Der BMW Manager Eberhard von Kuenheim hatte es damals schon erkannt: „Es mag zwar zu viele Automobile auf der Welt geben, aber noch zu wenige BMWs“.

Riesige Autos, die Freiheit versprechen: Auf Kosten Anderer

5. Aber statt weniger Autos werden immer mehr, größere und teurere Autos auf den Markt gespült. Zu der Nordamerikastrategie mit Scout, die vorgestellt wurde, ist also nichts zu sagen außer die Frage zu stellen: Was soll der Quatsch?

6. Am Ende ist klar, was der Quatsch soll. Denn der einzige Interessenskonflikt, der heute hier vorliegt, ist nicht die alberne Frage, ob Olli VW und Porsche interessenskonfliktfrei leiten kann, sondern vielmehr der unüberwindbare Interessenskonflikt zwischen Kapital und Nachhaltigkeit. Beides geht nicht. Es ist eine Farce, dass heute immer wieder das Wort Nachhaltigkeit in den Mund genommen wird, obwohl allen klar ist, dass es weder sozial noch ökologisch sinnvoll ist. Bereits vor ein paar Tagen – am 04. Mai – gab es den Überlastungstag für Deutschland, der klar markiert, dass wir die ökologischen Grenzen überschreiten und damit über unsere Verhältnisse leben, arbeiten und produzieren. Ein Raubbau an der gesamten Mitwelt und auch an den Menschen, die dafür ausgebeutet werden.

Das Geld im Mittelpunkt – nicht der Mensch

7.) Deswegen ist es alles andere als verständlich, wie Du – lieber Olli – immer wieder mantrenhaft wiederholst, dass doch der Mensch im Mittelpunkt steht. Lügen, die erzählt werden, werden nicht wahrer, nur weil sie oft wiederholt werden. Machen wir es einfach: Das Geld steht im Mittelpunkt und nicht der Mensch. Die Stimme eines Menschen habe ich mitgebracht, der hier im Raum schon auf einem blutverschmierten Geldschein abgedruckt zu sehen war. Es ist Ziki, ein Kind aus dem Kongo, welches unter sklavenähnlichen Bedingungen für die Automobilindustrie ausgebeutet wird: „Ich habe tiefste Traurigkeit in meinem Herzen, wenn ich an diese Menschen denke, die diese Mineralien kaufen. Sie machen so viel Geld damit und verändern nichts.“

Eine Geburtstagstorte für das Geburtstagskind Wolfgang

Ein Screenshot vom Handelsblatt-Titel

Es wird schnell klar: Leben auf Kosten Anderer. Das darf so nicht bleiben. Und deswegen kommen wir zum Geburtstagskind: Lieber Wolfgang, das Handelsblatt und Co titelten bereits: „Geburtstagstorte für Porsche“. Du willst heute wieder in den Aufsichtsrat gewählt werden und hast auch einen Lebenslauf abgegeben. Der bedarf einer wichtigen Ergänzung und Korrektur. Denn wer ist dieser Wolfgang Porsche? Zunächst ist er aktuell der reichste Österreicherer und hat soviel wie die ärmere Hälfte der österreichischen Menschen. Eine Person hat so viel wie 4,5 Millionen Menschen. Wie kann das sein? Denn egal wie hart Du, Wolfgang, gearbeitet haben magst, egal wie effektiv und produktiv Du warst, egal wie wenig Du geschlafen hast, wirst Du niemals so viel schaffen können in 24 Stunden wie 4,5 Millionen Menschen.

Wir stellen fest: Es ist ungerecht. Sehr gut brachte das Bertolt Brecht in einem Vierzeiler auf den Punkt, wenn er sagte:

„Armer Mann und reicher Mann,
standen da und sahn sich an.
Sagte der arme kreidebleich:
Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Bertolt Brecht

Wolfgang Porsche – Enkel des Kriegsverbrechers Ferdinand Porsche

Das ist die strukturelle Ungerechtigkeit im Kapitalismus. Anders geht es nicht. Und ganz wichtig ist mir natürlich zu sagen: Das ist nicht Deine Schuld, lieber Wolfgang. Aber das wird sich nun verändern. Es kann nicht sein, dass Du als Familienpatriarch der Familie Porsche-Piech und Hauptaktionär von VW mit 53,3% über die Porsche Holding SE so einflussreich und machtvoll bist. Das kann und wird so nicht weitergehen. Schauen wir ein bisschen in die Vergangenheit. Du wirst heute 80 Jahre und bist 1943 während des zweiten Weltkriegs geboren. Dein Großvater, der angeblich geniale Konstrukteur Ferdinand Porsche wurde 1938 von Adolf Hitler nach Wolfsburg zitiert, um dort eine Vorzeigestadt der Nazis für Auto und Arbeit zu machen. 1938 hieß dieser Ort noch nicht Wolfsburg, sondern Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben und produzierte in den ersten Jahren keine Autos, sondern Rüstungsgerät. Dieser Ferdinand Porsche, Dein Großvater, war nicht der geniale Konstrukteur, sondern ein Profiteur und Kriegsverbrecher, der bei Adolf Hitler 20.000 Zwangsarbeiter*innen bestellte, die sich in der Fabrik zu Tode zu schuften mussten. Als es 1945 nach Kriegsende für Kriegsverbrecher wie Ferdinand Porsche ungemütlich wurde, ging dieser mit gestohlenen Gewerkschaftsgeldern nach Österreich, wo auch heute die Familie noch ihren Sitz hat. Darauf baut dieser Reichtum und diese Macht auf. Und auch das darf und wird so nicht weitergehen.

Wie geht es nun aber weiter?

Wir müssen die soziale und ökologische Frage zusammen denken und gemeinsam für das Gute Leben für Alle kämpfen, damit aus Wolfsburg kein Detroit wird. Denn der Wandel wird kommen: Entweder by design oder by desaster. Entweder indem wir den Karren vor die Wand fahren oder indem wir ihn umlenken . Letzteres ist noch möglich in zwei Schritten:

1.) Konversion: Umbau von VW. Vom Automobilkonzern zum Mobilitätskonzern. Straßenbahnen, Busse und Lastenräder statt Autos. Das ist dann nicht mehr so profitabel. Deswegen ist klar:

2.) Vergesellschaftung: VW für alle. Wir können uns Wolfgang und das Emirat Katar nicht länger leisten.

Und das ist gar nichts revolutionäres oder gar Neues. Jörg (Hofmann) aus dem Aufsichtsrat in Vertretung der IG Metall wird sich an den §2 Absatz 4 der Satzung der IG Metall erinnern, wo es heißt:

„…Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum;“

IG Metall Satzung, §2 Absatz 4

Lasst uns loslegen. Olli bedient sich der Metapher der Renovierung des Hauses. Es sei schon viel passiert. Ich sehe davon nichts und erinnere mich an Erich Mühsam, der mal gesagt hat:

„Warum das Dach flicken, wenn das Fundament morsch ist? Wir brauchen den Komplettumbau“.

Erich Mühsam

Genau das braucht es jetzt. Alles ändern. Gemeinsam. Solidarisch. Kämpferisch. Mit einer Prise Utopie. Und damit ende ich mit Arundhati Roy, die einst so kraftvoll sagen konnte:

„Eine andere Welt ist bereits am Entstehen. An leisen Tagen kann ich sie sogar atmen hören“

Arundhati Roy

Herzlichsten Dank!

4 Gedanken zu “Das Geld ist im Mittelpunkt, nicht der Mensch – Impulsrede auf der Aktionär*innenversammlung von VW

  1. Tobi, wie war die Reaktion auf die Rede, also Applaus, Buh-Rufe oder so??? Auf den Betriebsversammlungen bei VW – organisiert vom Betriebsrat, nicht von VW – dürfen die Mitarbeiter ja auch immer erst ziemlich spät das Wort ergreifen, wenn die Zuschaueranzahl schon deutlich abgenommen hat und Betriebsrat und Vorstand nicht mehr so ganz taufrisch dabei sind. Wie war das bei dir???
    Deine Themen und Meinungen kenne ich ja, und finde es gut, dass du sie auch so vorgetragen hast. Wäre gerne dabei gewesen, ging aber dieses Mal nicht.

    1. Großartigerweise war die Rückmeldung echt erstaunlich positiv. Drei Viertel haben danach – nicht nur höflich – applaudiert und einige kamen danach auf mich zu. Buh-Rufe gab es gar keine und auch Olli und Wolfgang haben gespannt zugehört. Und hoffentlich auch Daniela und Jörg. Komm das nächste Mal gerne mit. Die Idee ist im Raum vielleicht an 5 Arbeiter*innen, die schon immer mal was Olli, Wolfgang und Co 10 Minuten lang sagen wollten das zu ermöglichen.

  2. Überall wo es um Menschenrechte geht tritt VW mit Füßen. Daran ändert auch Frau Hiltrud nichts. Es sei denn die Opfer von Schwarzen Listen bei VW werden mal entschädigt. Nicht nur in Brasilien. Seit 1973 Arbeitsverbot bei VW, Ergebnis Hungerrente. Aber der Bonze und ex NSDAP-Mitglied Tyra(nn)kowski ist Eherenbürger der Stadt Gifhorn und warf mich aus der IG-Metall. Und sein Spezi Horst Giersch vermerkte in meine Personalakte: Nicht wieder einstellen, streiksüchtig.

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